Warum die Politik nicht anders kann, als die Sorgen von Nazis ernst zu nehmen

18. Dezember 2014

Die Überschrift kommt etwas reißerisch daher, ich weiß. Und ja, ich weiß, dass nicht jeder, der bei Pegida mitmarschiert automatisch ein Neonazi ist. Das Label das ich verwenden möchte, ist allerdings: Geistig Herausgeforderte TransformationsVerlierer. Das kommt in seiner abgekürzten Form GHTV längst nicht so elegant daher, wie die geile Kombination sich gegenseitig ausschließender Bezeichnungen für die Menschen die aktuell durch Dresden rennen, trifft aber meiner Meinung nach sehr viel eher den Kern der Sache.

Ich möchte an dieser Stelle nicht einfach allen Demonstranten Fremdenfeindlichkeit unterstellen, auch wenn ich glaube, dass ein gewisses Maß an Angst vor dem Fremden in uns allen schlummert und es stets einer gewissen Anstrengung bedarf (beim einen mehr, beim anderen weniger) diese mittels seiner kognitiven Fähigkeiten unter Kontrolle zu halten. Und ich erkenne an, dass diese Kontrolle sehr viel einfacher ist, wenn man eine gesicherte Existenz, oder zumindest keine existentielle Angst vor der Zukunft hat.

Die Angst davor unter die Räder zu kommen

Womit wir meiner Einschätzung nach exakt bei den Ängsten der Menschen angekommen wären, die man besonders in der CDU/CSU gern ernst nimmt, wenn Sie wie aktuell bei Pegida im denkbar hässlichsten Gewand daher kommen. Was dort auf der Straße zu sehen ist, ist nicht in erster Linie Fremdenfeindlichkeit, sondern die Angst davor bei der rasanten Veränderung der Gesellschaft der letzten Jahrzehnte unter die Räder zu kommen, deren Ventil lediglich die Fremdenfeindlichkeit ist. Das ist in sofern nachvollziehbar, als dass es keinen konkreten Adressaten für die tatsächliche Angst gibt, in der Gesellschaft nicht mehr mit zu kommen. Schließlich müsste man in diesem Falle eigentlich auf sich selbst blicken und an da ist ein äußerer Feind (der Ausländer) natürlich die angenehmere Wahl und bietet gleichsam ein konstituierendes Motiv, das eine Bewegung wie Pegida erst möglich macht. Byung-Chul Han hat die psyologischen Hintergründe der SZ sehr schön dargelegt.

Asylanten kosten Geld! Der BER zwar auch, aber das ist anderes Geld

Warum aber sind die Reaktionen aus der Poltik so merkwürdig irritierend? Warum scheint es zwischen Die Ängste der Menschen ernst nehmen und Eine Schande für Deutschland keinerlei Graubereich, der Differenzierung und Analyse erlauben würde, zu geben?

Die Antwort darauf ist einfach und wirft Licht auf die Gründe dafür, dass die GHTVs Angst vor der Welt, in der sie leben bekommen haben. Denn gesellschaftlicher Wandel ist ja nicht per se schlecht. Und ich bin mir sicher, dass eine Bewegung wie Pegida nicht möglich wäre, wenn die sozioökologischen Verhältnisse in Deutschlan anders aussehen würden. Wenn etwa nicht 18% der Deutschen armutsgefährdet wären und das, was mal die Mittelschicht gewesen ist zwischen Hamsterrad und Abstiegsangst gefangen wäre.

Für Menschen, die auf Sozialhilfe-Niveau oder nur kapp darüber leben, manifestiert sich das dramatische Versagen der Politik eine vernünftige Wirtschafts- und Sozialpolitik zu betreiben, eben nicht nur in Milliardengräbern, wie dem BER und Abgeordneten-Nebeneinkünften im Millionenbereich, sondern eben auch in behördlicher Gängelung und alltäglichen Kämpfen um im Vergleich winzige Summen. Dieser schmerzhafte Kontrast muss -und zwar zurecht!- zum Eindruck führen, dass die da oben sich nicht für die Belange der einfachen Leute interessieren würden. Gleichzeitig entsteht der Eindruck, dass auf dem selben Level, auf dem Behören Zuschüsse und Arbeitslosengeld verweigern, scheinbar Geld für Flüchtlinge und Asylanten da zu sein scheint. Dass diese zum Teil in erbärmlichen Verhältnissen leben, ist erst einmal nebensächlich, entsteht doch der Eindruck, sie würden quasi aus dem selben Topf gespeist, wie der Geringverdiener, dem Wohngeld gestrichen wird.

Diese beiden Erlebnisse sind so nah beieinander, dass es einfach näher liegt, das Problem dort zu verorten, als eben zu verlangen, halt keinen BER zu bauen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen oder gar ein grundsätzlich anderes Wirtschaften zu fordern. Und weil es in tragischer Koinzidenz der gleiche eher linke und progressive Teil der politischen, wie gesellschaftlichen Öffentlichkeit ist, der eben das fordert, wie derjenige, der mehr Unterstützung für Flüchtlinge anmahnt, wird der Pegida-Anhänger eben beim der nächsten Wahl die AfD wählen und nicht die Linke. Weil die verspricht das Scheinproblem zu lösen, während die linken Gutmenschen“(Achtung: Kopp-Verlang) in ihren Elfenbeintürmen sich mit Nebensächlichkeiten wie Steuergerechtigkeit und Gender-Bullshit befassen.
Die kaum erträgliche Tragik dieser Situation ist, dass sie sich, so wie es aktuell aussieht, als selbsterfüllende Prophezeiung in die Zukunft fortschreibt. Flüchtlinge, die in Deutschland als erstes auf Menschen treffen, die zwar keine Nazsis sind, aber und gleichzeitig in durch Residenzpflicht und Arbeitsverbot unter Kontrolle gehalten werden, während sie in kümmerlichen Unterkünften auf Ihr Schicksal warten, weil die AfD in der Koalition mit der CDU gerade die Erhöhung der Mittel für den Sozialen Bereich verhindert hat, werden vermutlich eher keine perfekt integrierten Mitbürger werden. Sondern sich auf andere Art und Weise Teilhabe verschaffen. Und dienen damit als Legitimation für die nächste Pegida-Demo 2018.

Ach ja, zur Überschrift: Würde sich die Politik ernsthaft mit den Gründen für die Pegida-Wut auseinander setzen, so müsste sie eingestehen, parteiübergreifend, seit Jahrzehnten versagt zu haben. Aus Dummheit, Unfähigkeit, Bestechlichkeit oder schlicht Ignoranz. Das wäre ein maximaler Offenbarungseid. Diesen kann und wird in Berlin niemand leisten. Daher einfache Antworten, dafür Fremdenhass und daher bleibt alles wie es ist.

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Florian Priemel © 2017